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12. Februar 2019

Den Zweifel nÀhren

Meine kritische Auseinandersetzung mit MĂ€nnlichkeit

Der folgende Text ist eine ĂŒberarbeitete Fassung meines Inputs auf einem Workshop fĂŒr Cis-MĂ€nner („Im Zweifel fĂŒr den Zweifel – Theatral-spielerische Reflexionen zu MĂ€nnlichkeit“), den ich mit zwei Kollegen im Februar 2017 und erneut im September 2018 angeboten habe. Nach drei Tagen intensiver Auseinandersetzung mit MĂ€nnlichkeit habe ich mit meiner eigenen Auseinandersetzung zu dem Thema den Raum fĂŒr ein AbschlussgesprĂ€ch geöffnet. Meine Worte waren ein Angebot an die Teilnehmer, ĂŒber verschiedene Dinge noch mal ins GesprĂ€ch zu kommen. Ich fasse zentrale Punkte zusammen, die mich im Hinblick auf MĂ€nnlichkeit bis heute beschĂ€ftigen in der Annahme, dass diese Gedanken auch fĂŒr andere interessant sind.

Screenshot von Bildern mit Chipspackungen der Firma Zweifel

Politisierung

Politisiert habe ich mich Mitte der 1990er Jahre ĂŒber eine Strömung innerhalb des Hardcore, genauer genommen des Emocore, der interessanterweise als Emo-Subkultur Jahrzehnte spĂ€ter ein Revival hatte. Stark beeinflusst durch Riot Grrrl und Feminismus wurden im Hardcore auch Geschlechterfragen verhandelt. Insbesondere ein Gedicht aus dem Booklet einer LP der Band Struggle hat mich sehr stark geprĂ€gt: A Poem For Men Who Don‘t Understand When We Say They Have It („Ein Gedicht fĂŒr MĂ€nner, die nicht verstehen, wenn wir sagen, dass sie es haben“). Der_die anonym bleibende Autor_in schreibt aus einer weiblichen Sicht ĂŒber mĂ€nnliche Privilegien und richtet sich an Cis-MĂ€nner. Die Zeile „Privilege means someone else’s pain“ („Privilegien bedeuten anderer Leute Schmerz“) hat mich besonders beschĂ€ftigt. Mich hat der Gedanke nicht losgelassen, dass jemand anderes leidet, weil ich privilegiert/mĂ€nnlich bin.

Etwas spĂ€ter entdeckte ich den MĂ€nnerrundbrief, das zentrale VerstĂ€ndigungsorgan der autonomen, profeministischen Cis-MĂ€nner-Szene im deutschsprachigen Raum von 1993–2002. Der MĂ€nnerrundbrief propagierte die „Abschaffung von MĂ€nnlichkeit“. Das Argument war so einfach wie bestechend: MĂ€nnlichkeit braucht man nicht, um glĂŒcklich zu sein.

Inhaltlich stimme ich dem zu: Die Herausbildung kollektiver IdentitĂ€ten, beispielsweise „der MĂ€nner“ und „der Frauen“, ist ein Prozess, der willkĂŒrlich Grenzen errichtet. Nach innen wird homogenisiert – „MĂ€nner sind sportlich / stark / kommunikationsunfĂ€hig / haben Bewegungsdrang / sehen den Schmutz einfach nicht / können rĂ€umlich denken / Bier / Fußball“ etc. – und nach außen wird ausgeschlossen: all das und diejenigen, die nicht „mĂ€nnlich“ sind, also Frauen*, Trans*, Inter* und diejenigen Eigenschaften und FĂ€higkeiten, die „weiblich“ belegt sind. Ich verstehe vor diesem Hintergrund „MĂ€nnlichkeit“ einerseits als kulturelle Bilderwelt, die vorgibt, wie „MĂ€nner“ sein sollen und andererseits als Set von Verhaltensmustern, das daraus entsteht.

Selbsthass

Demzufolge war MĂ€nnlichkeit fĂŒr mich negativ bewertet. Das hatte Auswirkungen auf meine politische Entwicklung und mich ganz persönlich. 2005 habe ich ein paar Gedanken hierzu festgehalten:

„Es fĂ€llt mir oft schwer, mit meiner privilegierten Position umzugehen. Ich lehne beispielsweise so etwas wie MĂ€nnlichkeit, Weiß-Sein, etc. grundsĂ€tzlich ab, also in einer befreiten Gesellschaft wird es so etwas nicht mehr geben. Genau diese Kategorien verkörper‘ ich jedoch; ich bin durch und durch privilegiert, will aber genau diese Privilegien abschaffen. Das fĂŒhrt zu einem Widerspruch in mir als Person. Ich weiß zwar, dass dieser Widerspruch ein gesellschaftlicher ist, der sich demnach eben auch in mir widerspiegelt – dennoch bin ich deswegen manchmal richtig verzweifelt und habe eine spezifische Form von Selbsthass, wo ich mich nicht mehr gut annehmen kann.

Es gibt in mir den Wunsch, so sein zu dĂŒrfen, wie ich bin und so auch geliebt zu werden. Und andererseits gibt es in mir den Wunsch, mich zu verĂ€ndern, und zwar in eine Richtung, dass es so jemanden wie mich (auf einer gesellschaftlichen Ebene) gerade nicht mehr gibt. Anders formuliert: Ich möchte eine soziale Revolution. Und bis dahin möchte ich die eben skizzierten WidersprĂŒche wenigstens aushalten können. Und ich will auch sagen können, dass es mir mit meiner privilegierten Position, meiner MĂ€nnlichkeit, meiner HeterosexualitĂ€t, meinem Weiß-Sein, etc. manchmal schlecht geht und ich genau darunter leide. Das fĂ€llt mir oft schwer.“

Ich gehe davon aus, dass ich mit diesen GefĂŒhlen und Gedanken nicht alleine bin. Ich kenne gerade aus linken Cis-MĂ€nnerkreisen die Tendenz von einigen, sich mit allem sehr zurĂŒckzuhalten, um auf gar keinen Fall als irgendwie dominant zu erscheinen. So gibt es bei einigen die Tendenz, sich unsichtbar zu machen, beispielsweise gar nichts zu sagen oder nur mit ganz leiser Stimme zu sprechen. Hinter einem solchen Verhalten kann – nicht muss – auch eine Form von Selbsthass und sich nicht annehmen können stehen. Ich denke, dass das eine ganz typische Dynamik bei Privilegierten ist, die sich kritisch mit ihren Privilegien auseinandersetzen.

„Selbsthass“ ist ein großes Wort, und die Passage von 2005 könnte sich so lesen, als sei der Feminismus am Selbsthass einiger Cis-MĂ€nner schuld. Ich gehe hingegen davon aus, dass sich (leider) sehr viele Menschen selbst abwerten und dass dies grundlegende Ursachen in Gesellschaft und Psyche hat. Mit „Selbsthass“ meine ich Dinge, die eine_n klein halten. Scham kann ein Anzeichen dafĂŒr sein. Fast jede Therapierichtung hat ihre eigenen Begriffe (Schweine/DĂ€monen/Schatten/core limiting beliefs/Stimmen/innere Kritiker_innen, 
) dafĂŒr, aber sie kommen in fast allen vor.

Schuld ist natĂŒrlich nicht der Feminismus – auch wenn es fĂŒr Cis-MĂ€nner sicherlich ein anderes SpannungsverhĂ€ltnis als fĂŒr Frauen* gibt – oder die Auseinandersetzung mit Herrschaft. Der Selbsthass geht dem voraus und speist sich aus anderen Quellen, beispielsweise einem Scheitern an Idealen oder Erwartungshaltungen, der Anpassung an Normen, BindungsabbrĂŒchen oder der verinnerlichten Botschaft, nur ĂŒber Leistung liebenswert zu sein und nicht so, wie man ist. Ich habe mir lediglich eine bestimmte Theoretisierung und in dieser eine bestimmte Lesart gesucht.

Ich finde dies bis heute eine spannende und absolut relevante Frage: Warum suche ich mir welche Art von Theorie/Theoretisierung? Was hat das mit meiner psychischen Verfasstheit zu tun?

UnabhĂ€ngig von der Theorie, die man(n) sich fĂŒr sein eigenes Leben sucht, bringen die beschriebenen Dynamiken ein doppeltes Problem hervor. Einerseits geht es diesen MĂ€nnern nicht gut, weil bestimmte eigene BedĂŒrfnisse tendenziell verleugnet werden, sobald sie als „typisch mĂ€nnlich“ wahrgenommen werden: laut sein, Ballerspiele, Gangsta-Rap, Missionarsstellung, schnelle Autos etc. Andererseits erfolgt hĂ€ufig eine ausschließliche Orientierung an dem, was Frauen* bzw. Feministinnen wollen. Meine Arbeitskollegin hat treffenderweise mal gesagt, dass das immer so anstrengende MĂ€nner sind, weil sie alle Verantwortung und Entscheidungen Frauen* aufbĂŒrden und in ihrer eigenen Unsicherheit verharren.

Fragen

Besagte Kollegin war es auch, die mir sagte, dass die Dinge, die gesellschaftlich als „mĂ€nnlich“ wahrgenommen und vermittelt werden, doch auch total viele positive Seiten und Aspekte haben, die allen zugĂ€nglich gemacht werden sollten. Also so etwas wie DurchsetzungsfĂ€higkeit, AbgrenzungsfĂ€higkeit, Interessenvertretung gegenĂŒber AutoritĂ€ten, konfrontativ sein dĂŒrfen statt immer harmonisch, Aggressionen nach außen lenken können statt selbstschĂ€digend nach innen – das ist nicht immer schlecht. Das zu hören hatte fĂŒr mich etwas Beruhigendes.

Ich fĂŒhre mit einem Freund von mir seit vielen Jahren GesprĂ€che ĂŒber MĂ€nnlichkeit und die „MĂ€nnerbewegung“, u.a. auch ĂŒber die Frage, warum die „MĂ€nnerbewegung“, die fast immer eine implizit heterosexuelle (und cisgeschlechtliche) war, und die linke Schwulenbewegung fast nie zusammen gekommen sind. Mein Freund begreift MĂ€nnlichkeit auch als konstruiert, möchte diese aber dennoch nicht abschaffen; zum einen, weil er glaubt, dass das nicht geht, zum anderen, weil er MĂ€nnlichkeit per se auch nicht schlecht findet.

Seine und die Ansichten benannter Kollegin haben bei mir viel verĂ€ndert; ebenso die Erkenntnis, dass konkrete MĂ€nner* nicht identisch sind mit „MĂ€nnlichkeit“.

Meine Negativbewertung von frĂŒher ist heute einer fragenden Haltung gewichen:

Geht es beim Streben nach einer freien und gerechten Welt um die Demontage von MĂ€nnlichkeit? Ist das ein Ziel? Soll MĂ€nnlichkeit abgeschafft werden?

Oder hat MĂ€nnlichkeit auch positive Aspekte, die fĂŒr alle Menschen wichtig sein könnten? Sollten positive Bilder davon entworfen werden, wie MĂ€nnlichkeit sein könnte, wenn sie als individuelle Wahl und gestaltbar verstanden wĂŒrde? Die Frage wĂ€re dann: Wie können die positiven Seiten von MĂ€nnlichkeits(- und Weiblichkeits)mustern allen Geschlechtern zugĂ€nglich gemacht werden?

Oder geht es um die Entkopplung menschlicher Eigenschaften von der Zuschreibung als „mĂ€nnlich“, um eine Entgeschlechtlichung? Und wenn ja, wie geht das?

VerÀnderung

Die drei skizzierten Strategien – abschaffen, ressourcenorientiertes Aneignen, entgeschlechtlichen – sind nicht per se unterschiedlich, sondern können Aspekte eines Prozesses der Aufhebung von Geschlecht sein. Dieser Prozess ist individuell nicht möglich, sondern nur durch eine kollektive Bewegung, die positive Bilder von MĂ€nnlichkeit entwickelt, um sie direkt danach wieder zu dekonstruieren, um anschließend MĂ€nnlichkeit neu zu erfinden und dann wieder zu verwerfen usw. Eine Bewegung also, die sich fragend bewegt und die im Zweifel fĂŒr den Zweifel ist, die also MĂ€nnlichkeit niemals als etwas in Stein Gemeißeltes versteht und das Unabgeschlossene, Uneindeutige und WidersprĂŒchliche wertschĂ€tzt. Durch dieses Vorgehen wĂŒrde das VerhĂ€ltnis von IdentitĂ€t und Vergeschlechtlichung stets offen und beweglich gehalten. Dadurch wĂŒrden die oben erwĂ€hnten Prozesse der Errichtung von Grenzen und damit einhergehende Verengungen unterlaufen.

Rechte

Mich beschĂ€ftigt auch die Frage, warum es ĂŒberhaupt wichtig ist, sich mit MĂ€nnlichkeit auseinanderzusetzen? Warum sollte ich das tun, was sind (mögliche) Gewinne? Cis-MĂ€nner könnten ja auch einfach sagen: „Interessiert mich nicht“, und oft genug passiert gerade das. Auch linke Cis-MĂ€nner vermeiden hĂ€ufig die BeschĂ€ftigung, weil sie kompliziert und widersprĂŒchlich ist, und so kommt es zur erfolgreichen Politisierung der Geschlechterfrage von Rechts ohne nennenswert wahrnehmbare Kritik von emanzipatorischer Seite.

Um ein Beispiel hierfĂŒr zu nennen: Die Diskussion um „Jungen als Bildungsverlierer“ ist auf vielen Ebenen schlichtweg falsch. Wer tatsĂ€chlich Jungen* unterstĂŒtzen möchte, erreicht dies nicht durch die einseitige Dramatisierung von Geschlecht – „mehr mĂ€nnliches Lehrpersonal, ToberĂ€ume fĂŒr Jungen*, traditionell mĂ€nnliche Angebote fĂŒr Jungen*“ –, sondern in der Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit von Jungen* und daraus abgeleitet vielseitigen Angeboten und einem diversen pĂ€dagogischen Team.

Wer wie MĂ€nnerrechtler/Maskulisten versucht, die mit MĂ€nnlichkeit einhergehenden WidersprĂŒche in Form von identitĂ€tspolitischer Interessenvertretung aufzulösen, richtet dabei viel Schaden bei anderen (allen, die nicht „mĂ€nnlich“ genug sind) und nicht zuletzt auch sich selbst an (ein noch stĂ€rkerer Druck fĂŒr Jungen*/MĂ€nner*, „mĂ€nnlich“ zu sein).

Gewinne

Ich wĂŒrde sagen, sich all das anzueignen, was als „richtiger Mann“ nicht gelebt werden darf – von tiefen Freundschaften, Körperkontakt, sich Hilfe holen, Weichheit, weinen, körperliche und psychische Selbstsorge, Schminke und der Ablehnung von Leistung und Arbeit – ist extrem befreiend auf einer individuellen Ebene. Ein deutlicher Gewinn ist auch, sich von MĂ€nnlichkeitsanforderungen wie kĂ€mpfen, konkurrieren und gewinnen mĂŒssen, ĂŒberlegen und immer souverĂ€n sein, immer Sex wollen und immer können zu mĂŒssen, nicht homosexuell zu sein, erfolgreich im Beruf, Sachen reparieren können etc. loszusagen. Weitere Motivationen neben vielen weiteren, vorherrschende MĂ€nnlichkeitsideale ad acta zu legen, kann der Wunsch nach einer erfĂŒllten Liebesbeziehung sein oder auch der Kampf gegen Ungerechtigkeit und SolidaritĂ€t mit Diskriminierten. Gerade Letzteres ist fĂŒr mich schon immer eine ganz zentrale Triebkraft gewesen.

Sanktionen

Die individuelle Loslösung von MĂ€nnlichkeitsnormen kann zugleich negative Folgen auf einer gesellschaftlichen Ebene haben: Alles, was „zu weit“ von der MĂ€nnlichkeitsnorm abweicht, wird sanktioniert: mit Gewalt, Isolation und ganz realem Macht- und Privilegienverlust. „Schwul“ ist fĂŒr Heranwachsende immer noch das Disziplinierungsmittel Nummer eins in Sachen MĂ€nnlichkeit, und wer die „falsche“ Performance als Mann hat und die Umfelder irritiert reagieren, spĂŒrt die Barrieren in dieser Gesellschaft recht schnell.

Persönliche Beispiele, drei von unendlich vielen:

* In meiner Arbeit mit Jungen* in Berlin-Marzahn hatte ich beim Sitzen die Beine ĂŒbereinander geschlagen. Sofort wurde ich gefragt, ob ich „schwul“ sei. FĂŒr diese Jungen war klar, dass kein „richtiger“ Mann so dasitzt.

* Mein Perlenarmband zieht immer wieder betrÀchtliche Aufmerksamkeit auf sich, teilweise sind ganze Gruppen darauf fokussiert und ich werde sehr hÀufig darauf angesprochen. Es kam auch schon vor, dass wildfremde Leute einfach daran gezogen haben.

* Und dann jemand, der sich stĂ€ndig so viel mit Geschlecht beschĂ€ftigt und dann auch noch Gender Studies studiert hat – „Bist du schwul?“ „Hast du ein Problem mit deiner MĂ€nnlichkeit?“ Auf jeden Fall bin ich irgendwie verdĂ€chtig. Aber auch interessant, wie das Paar fand, das mich als Tramper 400 Kilometer mitnahm und mich unablĂ€ssig fragte, ob man mit meinem Studium auch Paarprobleme bearbeiten könne


Die AlltĂ€glichkeit dieser symbolischen Grenzen, Gebote, Verbote, Normierungen und Nahelegungen sind die Basis fĂŒr Gewalt. Deswegen gibt es bei vielen Cis-MĂ€nnern eine große, durchaus berechtigte Angst, Schritte in Richtungen zu gehen, die „abweichen“. Das ist, denke ich, einer der zentralen GrĂŒnde dafĂŒr, warum emanzipatorische MĂ€nnerbewegungen immer schon lĂ€cherlich klein waren. Ein weiteres Beispiel: In der sechsten Klasse fiel ein MitschĂŒler von mir beim Fußballspielen aufs Knie und weinte. Ich habe ihn getröstet und ihm dabei ĂŒber den Kopf gestreichelt. Alle Jungs*, inklusive ihm, lachten mich aus. Ich habe die Nachhilfe in Sachen mĂ€nnlicher Sozialisation verstanden und fortan fĂŒrsorglichen Körperkontakt mit mĂ€nnlichen MitschĂŒlern eher vermieden.

Einsamkeit

Vorherrschende MĂ€nnlichkeitsnormen abzulehnen kann auch heißen, einsam zu sein beziehungsweise zu werden. Man verlĂ€sst ein StĂŒck weit die Gruppe der Cis-MĂ€nner, fĂŒhlt sich dort zunehmend unwohler, man ist aber auch nicht Frau*, Trans* oder Inter*. Das kann zu einer ganz spezifischen Form von Einsamkeit fĂŒhren. Ich verstehe die „SchwindelgefĂŒhle“, von der die Soziologin Raewyn Connell in ihrem Standardwerk Der gemachte Mann an verschiedener Stelle spricht und die bei einer „Politik des Austritts“ aus dem System hegemonialer MĂ€nnlichkeit zutage gefördert werden können, auch in diese Richtung.

Ein wichtiges Buch fĂŒr mich ist White Men Challenging Racism („Weiße MĂ€nner gegen Rassismus“). Es besteht aus Interviews mit weißen Cis-MĂ€nnern, die sich gegen Rassismus engagieren. Viele von ihnen beschreiben genau diese Einsamkeit, und dass es fĂŒr sie wichtig ist, andere weiße MĂ€nner*, die gegen Rassismus und Sexismus kĂ€mpfen, zu kennen. Es geht hierbei nicht um die Selbstversicherung als weiße MĂ€nner*, sondern um einen Austausch ĂŒber spezifische Problemlagen, eine Auseinandersetzung mit Schuld und Scham, um ein gemeinsames Lernen ohne dafĂŒr Frauen* und/oder People of Color dafĂŒr einzuspannen und nicht zuletzt geht es um HandlungsfĂ€higkeit. Kollektiv-solidarische RĂ€ume können vor diesem Hintergrund nicht nur der Einsamkeit ein Schnippchen schlagen, sondern auch dem Schwindel.

WiderstÀnde

Die Auseinandersetzung mit Privilegien und eigener TĂ€terschaft kann schmerzhaft sein, in der Radikalen Therapie – einem selbstorganisierten, gruppentherapeutischen Ansatz, der von seiner Geschichte her in geschlechtshomogenen Gruppen entwickelt wurde – spricht man hier von „TĂ€terschmerz“. Das Lernen ĂŒber Geschlecht und ĂŒber MĂ€nnlichkeit sowie die Auseinandersetzung darĂŒber wird in aller Regel von vielen WiderstĂ€nden begleitet. Dies ist wenig verwunderlich, da unser VerstĂ€ndnis von MĂ€nnlichkeit/Weiblichkeit/Geschlecht immer auch sehr viel mit uns selbst zu tun hat. Es ist ein anderes Lernen als beispielsweise die Aneignung der Funktionen einer neuen App.

In der Kritischen Psychologie wird davon ausgegangen, dass Lernen ĂŒber WiderstĂ€nde und Krisen stattfindet; die feministische Erziehungswissenschaftlerin Judith KrĂ€mer zeigt dies in ihrer Studie Lernen ĂŒber Geschlecht empirisch anhand von Lernprozessen zu GeschlechterverhĂ€ltnissen.

Ein typischer Widerstand von Cis-MĂ€nnern kann zum Beispiel so aussehen, dass sie sich ganz viel mit Butler & Co. beschĂ€ftigen, also mit viel (Geschlechter-)Theorie, nicht aber mit ihren eigenen GefĂŒhlen, Psychos und Körpern. Diese Form der Rationalisierung und des BedĂŒrfnisses nach Kontrolle ist meiner Erfahrung nach in linken Kontexten in aller Regel noch ausgeprĂ€gter als in der Mainstreamgesellschaft.

Der Widerstand kann bei mĂ€nnerbewegten Cis-MĂ€nnern auch genau anders herum aussehen: Es wird ganz viel gespĂŒrt, aber jegliche Form von Einordnung, Ins-VerhĂ€ltnis-Zu-Anderen-Setzen und Theorie wird abgelehnt. Die Devise lautet: „Weniger reden, mehr spĂŒren“. Insbesondere Weinen kann implizit zu so einer Art Königsdisziplin werden; Weinen in der (Cis-)MĂ€nnergruppe – dann hat man(n) es geschafft. (Aus eigener Erfahrung wĂŒrde ich allerdings sagen, dass die eigentliche Königsdisziplin in linken Cis-MĂ€nnergruppen die Arbeit mit Wut und Aggression ist – in aller Regel gibt es hiervor sehr viel Angst und Abwehr.) Im Ergebnis wird sich nur auf sich selbst bezogen. MĂ€nnliche Herrschaft wird dadurch stabilisiert, da alle anderen Geschlechter mit ihren Interessen und BedĂŒrfnissen nicht mehr gleichrangig vorkommen.

Von daher soll dieser Beitrag auch eine Einladung an Cis-MÀnner sein, sich mit den eigenen WiderstÀnden beim Hinterfragen von MÀnnlichkeitsidealen kritisch zu befassen, sie ernst zu nehmen, sie wertzuschÀtzen und sie sich genauer anzugucken. Wie sahen meine eigenen Lernprozesse zu MÀnnlichkeit aus, was waren zentrale Themen, was waren wichtige Ereignisse, wann gab es Zweifel und wo habe ich Widerstand wahrgenommen? Und kann ich daraus eventuell anderen, die am Anfang dieser Auseinandersetzung stehen, etwas mitgeben? Was hÀtte ich gerne von Anfang an gewusst, das mir die Auseinandersetzung erleichtert hÀtte?

(Cis-)MĂ€nnergruppe

By the way (Cis-)MĂ€nnergruppe: HĂ€ufig Gegenstand von Spott, halte ich sie trotz des Wissens um queer und Geschlechterdekonstruktion fĂŒr eine wichtige Einrichtung. Frauen*, Trans* und Inter* kann die Arbeit der ErklĂ€rbĂ€r_innen abgenommen werden und sie werden potenziell verletzenden Aussagen nicht ausgesetzt, wenn sich Cis-MĂ€nner untereinander kritisch mit dem GeschlechterverhĂ€ltnis auseinandersetzen.

Die (Cis-)MĂ€nnergruppe kann allerdings auch zum Problem werden, nĂ€mlich dann, wenn dort Sachen gesagt und gezeigt werden, die sich Cis-MĂ€nner in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe nicht zu sagen/zeigen trauen, aus Furcht vor Kritik von und Ablehnung durch Frauen*. Werden diese als Störfaktor wahrgenommen, der Sicherheit wegnimmt, dĂŒrfte es sich in aller Regel um einen Cis-MĂ€nnerbund von links handeln, der das macht, was Cis-MĂ€nnerbĂŒnde seit eh und je machen: Frauen* ausschließen. Die vieldiskutierte Frage, was eine emanzipatorische (Cis-)MĂ€nnergruppe ausmacht, wird in diesem lesenswerten Text ausfĂŒhrlicher behandelt.

Persönlich gesprochen habe ich viel in (Cis-)MĂ€nnergruppen und durch andere MĂ€nner* gelernt. Insbesondere MRT (MĂ€nner Radikale Therapie) war wichtig fĂŒr mich: Gegen den im ersten Teil angesprochenen Selbsthass habe ich gelernt, mir SelbstwertschĂ€tzung zu geben, ich habe gelernt, andere zu unterstĂŒtzen und ganz allgemein mehr in Beziehung zu mir und anderen zu treten. Und ich habe u.a. mit Jungen*arbeit und verschiedenen Formen von Körperarbeit und Tanz angefangen.

In meiner Auseinandersetzung mit MĂ€nnlichkeit waren ebenso Frauen* absolut zentral, und ich weiß, dass ganz allgemein viele Cis-MĂ€nner in ihrer Auseinandersetzung mit MĂ€nnlichkeit von Frauen* unterstĂŒtzt wurden und werden. HierfĂŒr empfinde ich große Dankbarkeit.

Andreas Hechler ist die Diskussion um „toxische MĂ€nnlichkeit“ aufgrund ihrer impliziten Konstruktion einer ‚guten MĂ€nnlichkeit‘ hĂ€ufig suspekt. Ihn interessiert die Verbindung der kleinen mit den ganz großen Fragen, das Individuum und die Gesellschaft, der Alltag und die Herrschaft, die Therapie und die Revolution, die Psyche und die Macht. Gelegentlich legt er als DJ lila Pudel auf.

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