Für die Präventionsarbeit gegen Neonazismus (bzw. Rechtsradikalismus oder die extreme Rechte) wird ein geschlechterkritischer Blick oftmals nur als eine sinnvolle Ergänzung oder als zusätzliche Möglichkeit angesehen. Die HerausgeberInnen dieses umfangreichen Sammelbandes, der mit einem praxis- und einem theorieorientierten Teil insgesamt 18 Beiträge beinhaltet, sehen demgegenüber einen geschlechterkritischen Zugang als Notwendigkeit, da sie davon ausgehen, „dass Neonazismus nur mit ganz bestimmten Männlichkeiten und Weiblichkeiten funktioniert.“ (S. 10) Bestimmte Vorstellungen über Geschlecht und Sexualität spielen in extrem rechten Lebens- und Gedankenwelten keine Neben-, sondern eine Schlüsselrolle. Der Neonazismus bedient Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen, die in die Mitte der Gesellschaft reichen, in zugespitzter Form und eingebunden in „völkische“ Vorstellungswelten. So ist es z.B. oft gerade die „ganz ‚normale’ Männlichkeit (…), die immer wieder genau die Anforderungen hervorbringt, die neonazistische Männlichkeiten zu erfüllen versprechen.“ (Kraft, Risiko, Konkurrenz, Körperkult, …) (S. 44).
Durch den Sammelband zieht sich daher, anhand unterschiedlicher Themen, immer wieder eine Abgrenzung zur Vorstellung einer „unbelasteten Mitte“. Herausgearbeitet werden z.B. auch die „beharrlichen Bilder“ über die Figur des Neonazi: die „Ikonografie des männlichen, deklassierten, gewalttätigen, jungen Skinheads im Osten (Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel, Tätowierung …) (S. 223), womit u.a. die Vorstellung genährt wird, mit dieser eindeutig abgegrenzten Gruppe hätte die gesamte Gesellschaft nichts zu tun.
Die pädagogisch-präventive Arbeit gegen Rechts setzt an einer Entlastung von (hetero-) sexistischen, rassistischen oder sozialdarwinistischen Anforderungen an Kinder und Jugendliche an, die ihnen für eine geschlechtliche Anerkennung abgefordert werden, und will alternative Handlungsmuster und Einstellungen befördern: „Wenn es (…) für einen Jungen oder ein Mädchen keine größere Bedeutung hat, als ‚echt’, ‚richtig’ oder ‚normal’ wahrgenommen zu werden, sich ein Junge nicht als Kämpfer, Familienernährer und Beschützer beweisen muss oder sich ein Mädchen nicht als Mutter (…) profilieren muss, dann ist es unwahrscheinlicher, dass diese in neonazistischen Kreisen landen.“ (S. 46).
Wie geschlechtliche Zuschreibungen in der pädagogischen Arbeit konkret reflektiert werden können, zeigt z.B. der Beitrag „Praxissituationen entgeschlechtlichen“ (S. 73ff.), einer von drei Beiträgen, die sich speziell mit praxisanleitenden Methoden beschäftigen.
Rechte Politiken reagieren auch auf reale Erfolge in der Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse oder bei den Rechten für Homosexuelle und andere Minderheiten.
In dieser Publikation werden angesichts emanzipatorischer gesellschaftlicher Entwicklungen Kontinuitäten, aber auch Brüche und Anpassungen in rechten, antifeministisch gefärbten Rhetoriken diskutiert, z.B. anhand der „Reformulierungen radikalisierter Männlichkeit in rechten Diskursen“ (S. 240 ff.) oder anhand von „neo-homophoben Strategien“, die zu verhindern versuchen, „dass der heterosexuelle Normalzustand aufgeweicht wird.“ (S. 267). Umso wichtiger ist eine „Sexualpädagogik der Vielfalt“ (S. 278), jenseits heterosexistischer Zurichtungen.
PädagogInnen wünschen sich für ihre Arbeit oft ein Methodenset oder einen Werkzeugkoffer, unterschätzen dabei aber die Bedeutung eines selbstreflexiven Zugangs zur eigenen (geschlechtlichen) Verortung und wissenschaftlich fundierter Professionalität – auch dafür plädiert dieser vielseitige und sehr anregende Sammelband in mehreren seiner Beiträge.
Lisa Gensluckner
In: AEP-Informationen, feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Heft 1/2016, S. 60-61.
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